Der Gegenpol zum klassischen Bewerbungsverfahren nennt sich Open Hiring und bietet Arbeitgebern die Möglichkeit, schnell und unkompliziert offene Stellen zu besetzen. Doch der eigentliche Clou ist gar nicht die Zeitersparnis, sondern die Chance, unvoreingenommen Talente kennenzulernen.
Bewerbungen sichten, über Kandidatinnen und Kandidaten beraten, Vorstellungsgespräche koordinieren und abhalten, wieder beraten, Zusagen geben, Antworten abwarten: Der Auswahlprozess bei einer Stellenbesetzung kann sehr langwierig sein. Er kostet Zeit und Mühen, bindet Ressourcen in der Personalabteilung. Noch dazu besteht die Gefahr, unbewusst Vorurteile in die Entscheidung einfließen zu lassen. Das muss alles nicht sein, dachte sich bereits 1982 die Greyston Bakery aus dem US-amerikanischen Yonkers und entwickelte die Idee des Open Hiring. Bis heute setzt die Großbäckerei für Brownies bei der Besetzung ihrer Stellen auf offene Verfahren. Über 5.000 Stellen für Bäckerinnen und Bäcker hat Greyston seit den 1980er Jahren so besetzen können.
Was ist Open Hiring?
Aber was bedeutet Open Hiring eigentlich? Beim Open Hiring verzichtet ein Arbeitgeber auf den Auswahlprozess der Kandidatinnen und Kandidaten für eine zu besetzende Stelle. Jobs werden also nicht nur ohne Vorstellungsgespräch vergeben, sondern auch ohne jegliche andere Entscheidungsverfahren. Vielmehr schicken die Bewerbenden nur ein Formular ab – und das war’s. Gibt es keine anderen Bewerbungen, bekommt der Kandidat oder die Kandidatin den Job. Haben sich weitere Personen beworben, wird eine Nachrückerliste angelegt. Es gilt „first come, first served“.
Die zentralen Prinzipien von Open Hiring
Die offensichtlichen Vorteile liegen auf der Hand: Der Prozess ist schnell und verursacht sowohl bei den zuständigen Personalmitarbeitenden und betroffenen Fachbereichen, als auch auf Seiten der Bewerbenden keine großen Aufwände. Viel entscheidender ist jedoch, dass Open Hiring einen vorurteilsfreien Bewerbungsprozess ermöglicht. Denn die Angaben zu persönlichen Daten, über die Personalabteilungen auf Geschlecht, Herkunft und andere biografische Dinge schließen könnten, werden auf ein Minimum reduziert. Bei der Greyston Bakery etwa müssen Interessierte lediglich ihren Namen angeben und eine Telefonnummer. Und selbst diese Angaben sind lediglich der Form halber notwendig, denn es gilt ja das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. So wird Open Hiring zum Instrument für Inklusion und Diversität.
Auch Angaben zu Bildungs- und Berufsabschlüssen sowie zu fachlichen Kenntnissen und zur bisherigen Berufserfahrung spielen an keiner Stelle im Prozess eine Rolle. Unternehmen, die auf Open Hiring setzen, gewähren also einen Vertrauensvorschuss. Ob der neue Mitarbeiter oder die neue Mitarbeiterin den Job gut ausfüllen kann, zeigt sich erst in den Wochen und Monaten nach der Einstellung.
Onboarding als Basis für Erfolg
Da während des Bewerbungsprozesses fachliche Expertisen nicht abgefragt werden, ist die enge Begleitung der Neuzugänge nach ihrem Start im Unternehmen entscheidend für den Erfolg der Stellenbesetzung. Im Onboarding können Defizite schnell erkannt und notwendige Qualifizierungsmaßnahmen abgeleitet werden.
Neben fachlichen Maßnahmen – das zeigen auch die Erfahrungen der Greyston Bakery – spielen solche eine Rolle, die auf die Verbesserung der privaten Umstände der Mitarbeitenden abzielen. Open Hiring ist ein Recruiting-Ansatz, der entwickelt wurde, um Menschen eine reale Chance zu geben, die auf dem Arbeitsmarkt nicht die besten Voraussetzungen haben. Soziale Umstände, die eine Teilhabe am Arbeitsleben bisher erschwert haben, verschwinden nicht einfach mit dem Jobantritt. Möchten Arbeitgeber erfolgreich – und das heißt auch: auf Dauer – Stellen per Open Hiring besetzen, müssen Sie ein Verständnis für die Umstände ihrer Mitarbeitenden entwickeln. Die Greyston Bakery und andere Unternehmen, die auf Stellenbesetzungen ohne Bewerbungsprozess setzen, haben persönliche Coaches in ihren Onboarding-Teams.
Open Hiring in den Niederlanden
Der niederländische Arbeitsmarktservice (Uitvoeringsinstituut Werknemersverzekeringen, kurz: UWV) hat jüngst eine Studie zu Open Hiringveröffentlicht. Demnach haben immerhin sechs Prozent der befragten niederländischen Arbeitgeber Open Hiring bereits eingesetzt. Insbesondere in den Branchen Gastrogewerbe, Transport und Logistik, Einzelhandel sowie im Baugewerbe konnte das UWV eine höhere Offenheit der Arbeitgeber für das Recruitingverfahren feststellen. Beispiel Gastro: Hier haben knapp 35 Prozent der befragten Arbeitgeber Stellen etwa für Servicekräfte und Küchenhilfen mit dem offenen Verfahren besetzt oder betrachten es als sinnvolle Ergänzung ihres Recruitings. Wenig überraschend ist außerdem, dass die Offenheit für das Verfahren mit der Personalnot steigt.
Natürlich sind auch die Grenzen sichtbar. Ein Verfahren, das auf jeglichen Qualifikationsnachweis verzichtet, kommt für komplexe Berufe, für die umfassende Qualifikationen und viel Erfahrung nötig sind, kaum in Frage. Auf der anderen Seite spricht auch nichts dagegen, das Bewerbungsformular etwas komplexer zu gestalten, sodass auch bestimmte fachliche Voraussetzungen – etwa ein Führerschein – abgefragt werden können. Letztlich bilden das klassische Bewerbungsverfahren und Open Hiring lediglich zwei Pole des Spektrums der Recruitingmethoden.